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Umdenken ist gefragt

Jeder Grenzübertritt bringt immer wieder Neues und es ist mit jedem Mal ein abermaliges Einstellen auf entsprechende Veränderungen. Durch das langsame Reisen konnten wir bis anhin die neuen Sprachen, Kulturen, Gewohnheiten und Bräuche immer gut verdauen und in unseren Reisealltag integrieren.

Der Grenzübergang Armenien-Iran änderte jedoch alles! Wir hätten die Grenze selbst mit gebrochenen Handgelenken im Handstand im Kreis gehend übertreten können, keine Langsamkeit der Welt hätte uns auf dieses neue Land vorbereiten können. Wir verstehen nun warum sich der Iran einfach nicht beschreiben, nicht in Worte fassen lässt. Die letzten drei Jahre haben wir immer - zumindest mehr oder weniger - Worte gefunden, um unsere Erlebnisse und Wahrnehmungen beschreiben zu können. Aktuell habe ich das Gefühl, es nicht ansatzweise auf Papier bringen zu können. Man muss dieses Land selber erleben und erfahren und wir sind endlos dankbar, diese Möglichkeit doch noch erhalten zu haben.


Der Iran mit seinen Eigenheiten, mit seiner unvergleichlichen Kultur, mir seiner Geschichte... Wir sind nun über zwei Wochen hier und wir sind nach wie vor total überfordert.

Das Geld verstehen zu wollen haben wir längst aufgegeben. Zum Glück sind die Iraner so ehrlich und vertrauenswürdig, dass man ihnen bei einem Einkauf einfach das Portemonnaie hinstrecken kann und sie nehmen den entsprechenden Betrag raus. Wir hatten noch nicht einmal das Gefühl, deswegen betrogen worden zu sein. Im Gegenteil, man muss sie eher dazu zwingen, das Geld überhaupt anzunehmen.

So oft haben wir von der Gastfreundschaft, die wir in so manchen Ländern erleben durften, geschwärmt. So oft waren wir überzeugt: intensiver kann es nun wirklich nicht mehr werden. Tja, wir kannten den Iran noch nicht! Obwohl so oft von anderen Reisenden gehört oder gelesen, man kann sich trotz all dieser Berichte einfach nicht vorstellen wie es tatsächlich ist. Wirklich einfach nicht!

Doch so berührend und herzergreifend die iranische Gastfreundschaft ist, so enorm reizüberflutend kann sie auch sein. An manchen Tagen werden wir - ich übertreibe nicht - im Fünfminutentakt zum Essen, Teetrinken, Übernachten oder einfach zum gemeinsamen Zeitverbringen eingeladen. Die meisten Einladungen sind - trotz Taarof - tatsächlich ernst gemeint. Taarof, eine iranische Verhaltensweise, die uns zu Beginn in einige Fettnäpfchen treten liess. Taarof bedeutet, etwas anzubieten ohne dass man es eigentlich wirklich anbieten will - einfach nur der Freundlichkeit wegen. Diese für uns absolut unverständliche Eigenart hinterlässt in uns leider ein Gefühl von möglicher Unaufrichtigkeit. Oft haben wir zudem den Eindruck, dass das exzessive Einladen fremder Menschen einem Volkssport und einem Trophäensammeln gleicht.

Nichtsdestotrotz geniessen wir dieses Eintauchen in das echte Iran, welches uns durch die grundsätzlich von Herzen kommenden Einladungen ermöglicht wird, wirklich sehr. Doch bei dieser Häufigkeit wird es uns oft einfach auch zu viel. Ein Nein wird meistens auch nicht auf Anhieb akzeptiert, was dann gerne dazu führen kann, dass wir bis zu einer Stunde diskutieren müssen, um endlich weitergehen oder in Ruhe unser Zelt aufstellen zu können. Ein Paradies fürs "Nein-sagen-üben" :).

Bis zum Iran suchten wir Zeltplätzte an denen wir möglichst niemanden stören. Jetzt suchen wir versteckte Orte, um nicht eingeladen zu werden. Das ist jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung, denn die Iraner sind einfach überall. Selbst im tiefsten Wald, weg von Trampelpfaden, tauchen plötzlich Menschen auf. Eine weitere Eigenheit, welche ich ehrlich gesagt erst in Indien erwartet hätte. Nicht nur die vielen Menschen überfordern uns, die vielen Autos tun's noch viel mehr. Sogar in Naturschutzgebieten ist man permanent von Verkehr umgeben. Die Iraner fahren mit ihren schlecht gewarteten, mit dreckigem Benzin betankten Autos überall hin um zu picknicken. Leider können wir dem auch nur schlecht ausweichen, denn wir sind das erste Mal ohne Karte unterwegs. Auf unserer Wanderkarte, die uns bis anhin so treu selbst die kleinsten Pfade zeigen konnte, ist im Iran quasi kein Wanderweg mehr eingetragen. Auch sonst ist einfach nichts an Kartenmaterial zu finden. Auf Gut Glück mit Kompass einen Weg abseits von befahrenen Strassen bahnen zu wollen, endete nebst etlichen Kletterpartien darin, dass wir am Ende des Tages wieder am gleichen Ort waren wie am Morgen. Unsere Vorstellung, im Talesh- und Elbursgebirge von West nach Ost wandern zu können, mussten wir also wohl oder übel verwerfen.


Der Iran wirft uns in so mancher Hinsicht aus unserer Komfortzone. Umdenken ist gefragt. Danke für all die Horizonterweiterungen - tauchen wir weiter ein in das Abenteuer Iran!


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